Die Dornenkrone hab ich mir geflochten
Ein Schauspiel mit Musik um den grossen französischen Dichter Francois Villon
Uraufführung: 19.4.1990
Ernst-Deutsch Theater, Hamburg
Autor: Joachim Tettenborn
Inszenierung: Jaroslav Gillar
Ausstattung: Jan Koblasa
Musik: J.Gillar, H.Becker-Lehfeldt
Musikalische Leitung: Andy Braun
Choreographie: Helga Wolf
Regieassistenz: Stefan Scholtz
Aufführungsrechte:
Thomas Sessler Verlag, Wien
Francois Villon: Peter Seum
Margot: Gerda Katharina Kramer
Isabeau, Hure: Angélique Duvier
Cathérine: Tessa Gasser
Pére Villon/Herzog von Orleans:
Peter Gross
Bischof Thibault: Wolfgang Borchert
Provost/Wärter: Fritz Nydegger
Sermoise, Priester: Lutz Wiggers
Polizeileutnant: Jochen Schmidt
Colin Cayeux: Dirk Martens
Petit Jehan: Wolfgang Wobéto
Guy Tabarie: Peter Zeiller
Pernet de la Barre: Rainer Güther
Mardi: Peter Wicke
Bote/Jean-Piere: Kay-Uwe Zepplin
Trommler: Manfred Sperling
Inspizienz: Horst Fochler
Souffleuse: Monika Stapel
Friedrich Schütter, mein Fürstbischof im Riemenschneider Stück – Er lud mich zu einem fränkischen Wein ein, den ich sehr schätze. Er fragte mich, ob ich für sein Ernst-Deutsch-Theater ein „Klaas Störtebeker“- Theaterstück schreiben wolle. Nun – Hamburg war auf jeden Fall ein guter Ort für eine Uraufführung. Aber ich wusste wenig von diesem Seepiraten. Zunächst verblieben wir so, dass ich mich kundig machen und danach mit ihm das Weitere in Hamburg besprechen wolle.
Ja – wir verabredeten uns und trafen und in Darmstadt in seinem Hotel. Ich wollte meinen Störtebeker dabei sehen – aber er ließ ihn aus – Vielleicht hatte er das Stück noch nicht gelesen oder – Wie auch immer. Er fragte mich, ob ich vielleicht noch etwas anderes für sein Theater habe. Und das hatte ich in der Tat. Bevor ich dann ausschließlich am Störtebeker arbeitete, wollte ich eigentlich noch letzte Hand an mein Villon-Stück legen. Ich verließ es – noch etwas unfertig – Störtebekers wegen. Es waren ja auch nur noch einige handvoll Arbeit am Villon zu tun. Schütter bat mich, dem Störtebeker noch etwas Zeit zu lassen. Er wolle ihn sich noch einmal genau ansehen. Es eile ja auch nichts.
So brachte ich über ein paar Wochen meinen Villon zur Fertigkeit und schickte ihm das Stück zu. Villon lag jetzt einige Längen vor Störtebeker. Er las es, ließ es von seiner Dramaturgie prüfen und nahm es zur Uraufführung unter meinem Titel „Die Dornenkrone hab ich mir geflochten“ an.
Villon hatte mich schon immer fasziniert – der grosse Balladendichter, der schillernde Lyriker – der Verächter seiner Gesellschaft – der leidenschaftliche Mann, der Sensible, der Leid- und Lusterfüllte. Sein Leben lässt sich leicht aus den damaligen Polizeiakten herausfinden. Er lebte um Zeit der ‚Jungfrau von Orleans‘. Er war Bordellbetreiber, Dieb – und das Gelächter seiner Zeit. Ein berüchtigter Liebhaber der Frauen und Liebesleidender.
Seine Lieder und Balladen, seine Songs, wie wir heute sagen würden, hatten natürlich im Stück aufzutauchen. Auch hier zeigte es sich schon weit ins Musical hinein. Schütter hatte kein eigenes Ensemble. Die Schauspieler holte er sich je nach Bedarf am freien Theatermarkt. Und so kam eine namhafte Schar zusammen. Regie übernahm Jaroslaw Gillar, ein bekannter tschechischer Regisseur.
Das Ernst-Deutsch-Theater spielte en suite, das heisst – an jedem Tage nur jeweils dieses Stück – so lange das Stück gefragt war. Und es musste, es hatte lange zu halten, denn die Finanzen hatte Schütter und sein Partner ganz allein zu schultern – eine persönliche Finanzverantwortung. Keine Zuschüsse von außen. Ein Stück, das nicht lief, konnte sie an finanzielle Grenzen bringen, denn auch die Nachmittagsvorstellungen waren, zur Finanzabrundung jeweils an Sonnabenden und Sonntagen geplant.
Diese Situation erklärt die Vorsichtigkeit des Intendanten.
Der Villon war eine teure Produktion. Das kam noch dazu – teuer von den Schauspielern her, vom Bühnenbild, von den Kostümen und der Musik.
Und nun könnte ich mit Pathos und einen hingehaltenen Kitschfinger sagen, nun holte uns plötzlich ein böses, grollendes Schicksal ein.
Die öffentliche Hauptprobe war gelaufen – gut gelaufen. Am nächsten Morgen stand die Generalprobe an. Ich ging vor dem Theater mit Gisela und den Kindern ein wenig spazieren. Ich traf vor dem Theater einen Schauspielkollegen, der sagte uns, dass die Aufführung wahrscheinlich nicht stattfinden könne. Unser Hauptdarsteller, unser Francois Villon, Peter Seume, sei gestürzt und habe sich das Fersenbein gebrochen. Nun konnte er – in des Wortes genauester Bedeutung – nicht mehr auftreten. Der Schrecken durchfuhr mich, durchschlug mich bis in die Ferse. Was nun? Ich ging sofort in das Theater, ins Intendantenzimmer. Schütter hatte noch nie eine Vorstellung ausfallen lassen – und so sollte es auch diesmal sein. Seume würde spielen – allerdings im Rollstuhl sitzend, nur die Uraufführung. Nun – das warf mich um. Dieses überaus bewegliche Theaterstück könnte man gut und gerne in dem Genre „Mantel- und Degenstück“ unterbringen. Fechtszenen über Tische und Bänke, Tänze, Akrobatisches – und nun? Schütter bestimmte sofort einen Nachfolger – einen Schauspieler aus dem Ensemble, der von Anfang an durch die Proben gegangen, von Anfang an im Stück war. Er hatte im Eiltempo den neuen Text zu lernen.
Die Uraufführung kam – dabei hatte ich sowieso immer Grummeln im Bauch, aber diesmal – Das war mehr, wie würde sich das Publikum verhalten? Mich traf zwar keine Schuld, aber was half das am Ende? Es gab vor Vorstellungsbeginn eine Ansage – das Publikum war nun vorbereitet. Sie nahmen es gnädig auf, sogar mehrmals Szenenapplaus. Ich verbeugte mich nach Schluss der Aufführung, indem ich gleichzeitig meinen Hauptdarsteller im Rollstuhl vor mir her auf die Bühne schob.
Meine ehemalige Kollegin vom Schiller-Theater, Rosemarie Koch, rief mich an. Sie war entsetzt darüber, dass in diesem beweglichen Stück der Hauptdarsteller im Rollstuhl spielen musste. Ihrer Meinung nach hätte das Stück verschoben werden müssen. Natürlich hatte sie damit Recht – die Kritiker schreiben nur das, was sie sehen – ein Einsehen in die besondere Situation – damit durfte bei ihnen nicht gerechnet werden. Aber es war geschehen und damit hatte ich mich nun abzufinden.
Die Presse war durchwachsen. Es gab einige kräftige Verrisse – aber auch Gutes. Das wirkte sich auf den Besuch des Stückes glücklicherweise nicht oder kaum aus. Es war an jedem Abend gut verkauft und immer wieder mit Szenenapplaus durchsetzt. Besonders die Villon-Lieder wurden beklatscht.
Die anschließende Premierenfeier im Restaurant gegenüber war für mich eine Befreiungsfeier. Es war gut gegangen – und das war nicht so ohne weiteres zu erwarten .
Das Stück wurde 46 Mal en suite gespielt. Das gab für mich den Stimmungsausschlag.