Uraufführung: 6.2.1952
Urlesung 1951
Tribüne Berlin
… nun bahnte sich etwas an, das für mein Leben immens wichtig werden sollte. Schon in Erfurt hatte ich die Idee zu einem Theaterstück, zu einem Zeitstück über den Kommunismus der Ost-Art und begann dieses Theaterstück schliesslich zu entwerfen. Natürlich im Kopf – nichts schriftliches. Das hätte tödlich enden können. Nun aber - hier in Westberlin. Meine Schreibmaschine hatte ich ja glücklicherweise gerettet. Hier nun begann ich das Stück zu schreiben. ...
Und eines Tages, da war es so weit. Ich hatte es geschafft – das Theaterstück war geschrieben. Sein Titel: „PERSPEKTIVEN“.
Die Kurzstory hierzu. Ich hatte einen totalen Sieg der roten Diktatur angenommen. Nichts gab es mehr als sie. Eine Opposition – längst aufgelöst, längst in Straflagern verschwunden. Natürlich gab es auch keine Religionen mehr, keine Kirchen, keine Pfarrer – auch sie waren weggebracht worden – Von ihnen wurde nie wieder etwas gehört.
Schauplatz war eine Glühlampenfabrik. Dort hatte sich ein ehemaliger Pfarrer getarnt. Er blieb unerkannt. Aber zwei junge Leute, ein junger Mann und eine junge Frau – gingen geheimen Gerüchten nach. Und dann begegneten sie ihm – zu dessen grossen Schrecken. Er verleugnete alles und sich selbst – aber dann – dann offenbarte er sich ihnen, da sie Antworten suchten, die ihnen jetzt niemand anderes mehr geben konnte. Sie stellten ihre Fragen – und er antwortete.
Der bekennende Pfarrer ging unter. Er wurde verhaftet. Und die jungen Leute blieben wieder allein, noch nicht genau in der Optik der Staatsschütze. Aber da war viel Unsicherheit und so flüchteten sie –
Einer der Spitzenschauspieler des Erfurter Theaters war nach Westberlin geflohen, Heinz Giese! Wir trafen uns. Er bekam das Theaterstück in die Hand, war begeistert und legte es seinem derzeitigen Theater-Boss empfehlend vor. Es war Frank Lothar von der „Tribüne“. Auch er war von dem Stück sehr angetan, aber er hatte Angst vor einer Aufführung, vor der Uraufführung. Die Intellektuellen und andere standen damals stark links – mehr als stark. Und die Medien – mehr oder weniger auch. So ein Stück würde das Theater ins Konservative bringen – und das konnte tödlich sein. Aber hier gab es nichts Konservatives. Es war blutige Wirklichkeit – hier, gleich nebenan – eine Wirklichkeit, die sie nicht kannten, nicht zur Kenntnis nehmen wollten – aber was half das nun ?
Lothar versuchte es zunächst einmal mit einem Test. Er liess das Stück in kleinen Kreisen vorlesen. Die Zuhörer waren prominente Berliner
Schauspieler. Ihr Urteil war gefragt. Und ich sass dabei – hilflos, abwartend, abwarten müssend. Aber – oh Wunder – alle sprachen sich für eine Uraufführung
aus.
Was nun - ? Lothar wagte es auch jetzt noch nicht. Aber immerhin – er liess eine szenische Lesung im Theater zu mit einer eher kargen Dekoration und den Sprüchen und Transparenten die hierzu gehörten – überall, an den Wänden, über den Eingänge: „Die Partei ist Deine Heimat“, „Reih‘ Dich ein in die Arbeitereinheitsfront“, „Deine Welt ist rot“ – und so weiter und so weiter.
Die szenische Lesung fand statt. Sie wurde ein grosser Erfolg. Die Zeitungen waren voll davon. Der berühmte schnellsprechende Radio-Kritiker, Friedrich Luft, sagte und schrieb. „Man dachte zunächst, man ist auf der falschen Hochzeit. Tettenborn hat jedenfalls seinen ‚Orwell‘ mit Nutzen gelesen - - „ Das war mir alles völlig neu. Ich hatte weder vorher etwas von Orwell gehört, noch etwas von ihm gelesen – aber einiges liegt wohl auch in der Luft –
Nun konnte Lothar an einer Aufführung nicht mehr vorbeikommen – Vor allem das unerwartete Presseecho war mitbestimmend –
Und so kam es auch. Die Uraufführung der „Perspektiven“ in der Tribüne war im Gang, die Proben liefen, die Musikstücke wurden probiert, einiges kam auch von Band – so auch ein Ostlied, das der kommunistische Barde Ernst Busch sang:
„Vorwärts, nicht vergessen,
beim Hungern und bei Essen –
die Solidarität -
und eins und zwei und zwei und drei –
Wo Dein Platz Genosse ist.
Reih Dich ein in die Arbeitereinheitsfront,
weil Du auch ein Arbeiter bist –
- und noch viele solcher Lieder mit provozierender Musik, vor allem berühmt geworden durch Ernst Busch –
Auch hier, zur Uraufführung, überall im Theater, auf den Fluren, im Foyer – Spruchbänder, Plakate, Schriften – „Die Partei ist Deine Heimat“, „Von Stalin lernen heisst siegen lernen“, „Es lebe die glorreiche grosse Sowjet-Union“, „Die rote Welt, die Welt der Brüderschaft“ – und so weiter, und so weiter – Ja – Der Crack-Kritiker Friedrich Luft konnte sich hier wirklich wie auf der falschen Hochzeit fühlen –
Die Aufführung kam heran – die Handlung immer wieder durch Filme unterbrochen, durch Filmbruchstücke, die hierzu gedreht waren – Lieder darüber und daneben – oder in Szenen hineingebracht – Die Aufführung stand nun – noch drei Tage bis zur Uraufführung. Die Volksbühnenvertreter kamen zur Hauptprobe. Entsetzte Gesichter der Funktionäre – Aufstehen, Weggehen – „Nein“ sagen – Diese Aufführung, dieses Stück kam für sie nicht in Frage – vor allem auch nicht in dieser Form. Hinzu kam erschwerend, dass ich die Internationale mit gestopfter Trompete blasen liess – Das reichte!!
Nun war es geschehen. Die Volksbühne hatte abgesagt. Und sie war eingeplant als Kartenabnehmer – als Kartenabonnent. Und nun – nun gab es nur noch Aufführungen im freien Verkauf – ohne die Volksbühne ging hier nichts mehr. Sie war der Finanzrückhalt des Theaters – Was nun - ?
Die Uraufführung war in Frage gestellt. Da sass man nun als Autor seine ersten Theaterstückes - Immerhin bis zur Hauptprobe, schliesslich sogar Generalprobe gebracht – und nun Absturz. Es ist mir nicht möglich meine Gefühle von damals zu beschreiben – Es war – ja, es war wie hin zu einem Sterben – zu einem Grabe – aber – aber – Frank Lothar, der Intendant – sonst nicht gerade der Mutigste – er wagte es dennoch – überzeugt vom Stück, von seinem Inhalt, seiner Nachricht an das Publikum – Er wagte es gegen jegliche Vernunft –
Generalprobe – URAUFFÜHRUNG –
Welch ein Gefühl – und das Theater vollbesetzt – ein unbeschreibliches Gefühl – zum ersten Male geschafft –
Ja!!! Es war, es wurde ein sensationeller Erfolg – mehr – ein spektakulärer Sensationserfolg. Die gesamte Presse – halt, nicht die gesamte – die linke Presse nicht, die der SPD nahe standen – nicht – aber die anderen – alle – ALLE - Lobeshymnen. Das war mehr als erstaunlich – unerwartet – Ich sagte ja schon, die Intellektuellen in Westberlin standen im tieflinken Winkel – und ihnen nun so etwas – total gegen den Strom. Ich hatte gewonnen – in fast allen Medien gewonnen!!!! Nun auf einmal schwamm ich oben – ich fühlte mich auch oben – Triumphgefühle - ja, auch das – aber doch nicht bis hin ins Übermütige. ...
Während der Uraufführung fand der Berliner Kirchentag in Westberlin statt. Und so kam viel Kirchenvolk aus allen Teilen Deutschlands zu den Aufführungen – Am Tage der Uraufführung – nach endlosem, heftigem, Applaus – das Publikum ging nicht nach Hause – Es blieb vor dem Theater stehen und diskutierte heftig – auch kontrovers – und eine Stunde nach der Aufführung kamen sie zum Theatereingang zurück, erzwungen sich Eintritt und forderten eine Diskussion –
Und dann etwas, was ich damals nicht abschätzen konnte, eine Journalistin des „Spiegel“ suchte mich auf, eine Frau Rozoll. Sie hatte den Auftrag mich zu interviewen. Der sagenhafte Theatererfolg klang hier nach. Das Interview erschien – über eine halbe Seite lang. Dazu Gratulationen von überall her. Ich aber – ich war total verunsichert – die Sprache des Spiegels – da wusste ich nicht woran ich war. Ich hatte ja keine Ahnung davon welche Macht der „Spiegel“ darstellte. Für mich war es nur ein Informations-Magazin – aber der „Spiegel“ war damals schon so etwas wie eine Nachrichten-Ikone.
Ich war mit dieser Uraufführung unbeabsichtigt in einen grossen Konflikt geraten – einem lange schon schwelenden Konflikt zwischen Presse und Volksbühne. Was immer der Anlass hierzu war – ich habe es nie erfahren. Doch nun wurde ich, wurde mein Theaterstück zum Objekt des Streites – Das ‚Nein‘ der Volksbühne zu meinem Stück war nun auf die Tagesordnung gesetzt – und es war, wie sich zeigte, ein gutes Objekt. „Volksbühnenzensur“, „Feinde junger Dramatiker“, „Diktatur einer Abonnementsorganisation- „.
Darüber gab die Presse Presseinterviews – vorweg die grossen Gazette. Nun gab auch die Volksbühne Presseinterviews – Verlautbarungen, Dementi, Beschimpfungen – und ich und mein Theaterstück inmitten dieses Wirbels – Ja, nun kannte sie mich wirklich alle – alle hier in Berlin und weit darüber hinaus – denn davon wurde auch ausserhalb Kenntnis genommen – nun war ihnen mein Theaterstück zu einem Bekannten geworden –
An jedem Tag stand darüber etwas in den Zeitungen. Im „Kurier“ – diese Zeitung gibt es jetzt nicht mehr, aber es war eine gewichtige Zeitung – Der „Kurier“ bracht vier Wochen nach der Uraufführung einen ganzseitigen Bericht über mich, das Stück und die Volksbühne. Der Berliner „Tagesspiegel“ erschien eine Vierteljahrlang täglich mit der Feuilletonspitze „“Volksbühne ohne Perspektiven“ – immer mit der gleichen Überschrift, mit immer neuen Nachrichten.
Leseprobe
Das Stück wurde im gleichen Jahr auch am Westfälischen Landestheater aufgeführt. Einige Informationen finden sie hier:
Aufführungsrechte: Erben Tettenborn