Ein Spiel aus seiner Zeit
11. Juli bis 9. August 1981
Riemenschneider-Festspiele Würzburg
auf der Festung Marienberg
31.7. bis 2.9.1982
Neue Inszenierung
Das Stück spielt zur Zeit der Bauernkriege in der Stadt Würzburg. Man schreibt das Jahr 1525.
Mittelpunkt und Hauptfigur ist der Bildschnitzer Tilman Riemenschneider, der wie viele in seiner Zeit mit den aufständischen Bauern sympathisierte. Er wird plötzlich durch die Zeitereignisse politisch aktiviert. Dieses aufregende politische Zeitgeschehen und die Entscheidung, sich ganz oder wider die zwölf Artikel der Bauern zu entscheiden mit allen sich daraus ergebenenden Folgeerscheinungen, erreicht Riemenschneider in einer großen persönlichen Krise.
Die zweite Hauptfigur ist der regierende und in Würzburg residierende Fürstbischof Konrad von Thüngen. Er ist der Mitspieler Riemenschneiders, aber auch, durch die politischen Gegebenheiten, der schicksalhaft gesetzte Gegenspieler des Bildschnitzers.
Das Bauernheer erreicht die Stadt Würzburg und wird blutig vor dem Echtertor, zwischen dem Hof der Pferdeschwemme und der Brücke über den Burggraben, geschlagen. Über 300 Tote lagen im Burggraben am Ende der Schlacht, die, wie die Geschichte berichtet, zur Abschreckung noch über eine Woche dort liegen blieben. Auch in anderen Schlachten geschlagen, kapitulieren die Bauern.
Der aus der Stadt Würzburg geflohene Fürstbischof zieht wieder in Würzburg ein. Er hält ein hartes Gericht. Auch Tilman Riemenschneider fällt unter sein Gesetz.
(aus dem Programmheft)
Die Stadt Würzburg bereitete sich auf eine Feier für ihren größten Sohn, für Tilman Riemenschneider, vor. Sein 450. Geburtstag sollte gefeiert werden. Die Vorbereitungen liefen schon seit zwei Jahren. Schnitzexponate aus aller Welt erreichten Würzburg zu einer Riemenschneider-Weltausstellung. Aber die Stadt wünschte sich auch ein Schauspiel zur Riemenschneider-Feier. Es sollte ein Freilichtfestival auf der Festung Marienberg werden.
Sie kamen auf mich zu. Wir sprachen, überlegten. Schließlich beauftragten sie mich, dieses Festival zu schreiben. Das war etwas – ein seriöses stimmiges Unternehmen – ein Auftrag der Stadt Würzburg.
Ich beschäftigte mich mit dem Stoff. Das Leben des Bildschnitzers war bewegt und bunt gewesen. Er war nicht nur ein großer Bildschnitzer, mehr, man kann mit Fug und Recht sagen, der größte, der bedeutendste Bildschnitzer der Welt. Aber er nicht nur Bildschnitzer, nicht nur Künstler, er war auch ein Mann mit sozialem Gewissen – und, so darf man das stehen lassen, er war auch ein Revolutionär. Mehr einer der stillen Sorte, kein Marktschreier. Aber seine Stimme hatte Gewicht. Das Leben Riemenschneiders begeisterte mich, nahm mich ein. Die ganze mittelalterliche Welt umstand mich plötzlich. Ich fand mich in ihrem Mittelpunkt wieder.
Noch einmal, Spielort: Die Festung Marienberg. Ganz oben – die Bühne über dem Brunnen. Ausgelegt für tausend Plätze. Freilicht.
Das Werk war geschrieben. Ich hatte es einfach „Tilmann Riemenschneider“ genannt. Das bot sich ja auch an.
Das Stück machte in Würzburg pflichtgemäß seine Runde – vom Oberbürgermeister über den Kulturdezernenten – und über viele weitere Stadtbeamte. Sie hatten zu einem Urteil zu kommen. Darauf hatte ich zu warten.
Inzwischen hatte ich das Stück an meinen alten Freund und Gönner, den Generalintendanten des Schiller-Theater, an Bolislaw Barlog, geschickt. Er galt in der Theaterwelt als einer der absolut Unbestechlichen. Auch seinem nächsten Freunde hätte er ein ‚Nein‘ gesagt, wenn er es für geboten hielt. Deshalb war sein Urteil über mein Stück für mich immens wichtig. Ein Telefongespräch mit ihm machte mich sehr glücklich. Er fand das Stück gut und befürwortete eine Aufführung. Aber er wolle mir hierzu noch einen Brief schicken zu gefälligen Benutzung. Das tat er auch –
Ja. Also nun schriftlich. Barlog gab dem Stück seinen Segen und sein ‚Ja‘ – was konnte nun noch dagegen halten - - ?
Diesen Brief übergab ich dem Oberbürgermeister zur Entscheidungserleichterung. Sie gaben ihr ‚Ja‘ ohne Vorbehalte.
Aber nun kam das dicke Ende – das Geld. Es war kaum noch etwas in ihren Stadtkassen – und das Theaterfestspiel würde teuer werden. Was nun also? Das Geld für das Gedenkjahr war für Exponate, Broschüren, Vorträge, Musikveranstaltungen und so weiter ausgegeben und verplant.
Jetzt war das Stück geschrieben, nun war alles genehmigt. Doch, was nützte das noch in dieser zasterlosen Situation. Da kam überraschend Hilfe – von Engeln getragen. Ich hatte eine Lesung aus meinem Theaterstück in Sommerhausen bei Würzburg zu geben – vorzüglich eine Lesung vor den Vertretern der Stadt. Das würde mir zwar auch nicht aus Geldschwierigkeiten helfen, aber vielleicht irgendeinen Hoffnungsschimmer erhaschen. Und den gab es plötzlich – nicht zuletzt durch die Lesung. Zwei Männer, so im Alter um vierzig, interessierten sich für das Stück, für dieses Festspiel, für dies Open-air-Aufführung auf der Festung Marienberg. Zwei Männer – gut betucht – ein Zahnarzt und ein Immobilienhändler- beide aus Würzburg. Sie deuteten mir an, dass sie eventuell bereit wären eine finanzielle Hilfe zu geben. Aber – unter einer Million ging nichts – das wussten sie natürlich.
- meine Lesung in Sommerhausen fand statt. Erfolgreich, sehr erfolgreich. Die beiden möglichen Sponsoren waren dabei. Sie sahen mich und mein Stück von starkem Applaus umkränzt.
Zur Lesung war auch ein älterer Herr gekommen – so um die Mitte siebzig. Er wurde mir vorgestellt als Georg Reymond, ein Reporter des RIAS Berlin. Er war hier zur Berichtung für den Sender. Ich erfuhr später, dass es sich bei ihn um einen in den dreißiger Jahren sehr bekannten Schriftsteller handele. Er hatte gemeinsam mit Tucholsky in der kommunistischen Weltbühne Artikel geschrieben und eng mit Bert Brecht zusammengearbeitet. Aber davon wusste ich bei dieser ersten Begegnung noch nichts. Auch nichts davon, dass es ihm gelungen war, gerade noch rechtzeitig den Nazis zu entkommen. Er war nach Frankreich geflüchtet. Der Krieg brach aus, er kämpfte auf Seiten der Franzosen gegen die Deutschen – in Afrika war er eingesetzt worden. Als Dank erhielt er nach dem Kriege einen französischen Namen und ein ‚Danke schön‘ von de Gaulle.
Nach der Lesung sprach dieser RIAS-Reporter seinen kritischen Bericht für den Sender auf Band. Ich war auf alles gefasst – man weiß ja nie. Aber meine Befürchtungen waren unnötig. Er sprach dem Theaterstück ein hohes Lob zu und damit auch mir. Er meinte, ich habe zu bescheiden mein Stück nur „Ein Spiel aus seiner Zeit“ genannt – aber für ihn sei es mehr. Er könne es nur mit dem Brecht’schen „Galileo Galilei“ vergleichen – nur mein Stück sei besser. Und das aus seinem Munde – einem Mann, der Brecht gut gekannt hatte, ja, mit ihm befreundet war. Das Gewicht seiner Beurteilung wurde mir erst später so richtig klar, als ich mehr von ihm wusste. Georg und ich – wir wurden Freunde und verbrachten auch einige Zeit in meinem Nordseebauernhaus mit seinem Gefährten – einem großen struppigen Hund, ‚Trüffe‘ genannt.
Natürlich hatten alle Zuhörer gehört, was der Reporter vom RIAS auf Band gesprochen hatte. Auch meine zwei möglichen Sponsoren, der Zahnarzt und der Immobilienhändler. Sie gingen dann mit mir in einen Nebenraum und erklärten sich zur großen Sponsorei bereit. Jeder von ihnen wollte 500.000 Mark zur Aufführung beisteuern.
Und ich kann mir den Spaß kaum jeweils verkneifen, wenn das Gespräch auf mein Würzburg-Stück kommt, dass ich sage, ich bin der einzige Autor der Welt, der für eine Million gelesen hat.
Nun galt es möglich schnell einen Manager zu finden, einen Organisator, der alles auf die Beine stellte. Dazu gehörte vor allem das Engagement eines sehr guten Regisseurs, Engagement der Schauspieler – die besten aus allen Winkeln Deutschlands, ein Bühnenbildner, ein Kostümbildner, Statisterie – und mehr –
Wir waren in Zeitnot. Und so etwas ist schlecht für so ein Unternehmen. Es klemmte infolgedessen oft. Manchmal schien es mir, als ob es noch scheitern würde. Der richtige Regisseur war zunächst nicht auffindbar. Dann doch. Die Schauspieler so nach und nach – das musste ja auch abgestimmt werden mit der Regie. Aber dann warn wir doch einmal komplett. Und es wurde hoch gehandelt. Allein die Kostüme plus Gage für die Kostümbildnerin kosteten 250.000 Mark. Sie war allerdings Extraklasse und damit natürlich extra teuer. Sie kam aus Wien. Ihr Name war weltbekannt: Sieglinde Hartmann-Fuchsius. Der Regisseur schlug mit 50.000 Mark zu Buche und der Organisator mit 30.000 Mark.
Die Proben begannen und es gab erstaunlich wenig Krach. Zwar knallte es einige Male und einmal verließ der Regisseur die Proben. Aber das sind altbekannte Riten, die alte Hasen nicht schrecken. Sie kamen irgendwann alle wieder zusammen und auch unser Regisseur Joachim Hess fand sich nach einer halben Stunde wieder ein.
Der Tag der Uraufführung rückte heran – es war der 11. Juli 1981. Das Freilichtfestspiel sollte bis Ende August laufen. Das Theaterspiel war bestückt mit vielen Songs – es war ein halbes Musical – zu einem ganzen kam ich erst später.
Es war eine Starbesetzung geworden. Die Hauptrolle, den Tilman Riemenschneider, spielte der Wiener Schauspieler Werner Kreindl, den Fürstbischof von Thüngen, Friedrich Schütter. Er war Intendant und Schauspieldirektor des hochrangigen Hamburger Ernst-Deutsch-Theaters. Dass er und ich Freunde wurden – das hatte Folgen, die zum Besonderen führten.
Werner Kreindl war ein Störenfried. Er konnte wohl nicht anders – Wiener Schmäh, Häme, negative Kritik am Regisseur und am Stück. Wie ernst das zu nehmen war zeigte sich schon bald. Er bewarb sich darum, dieses Stück im nächsten Sommer selbst zu inszenieren und die Hauptrolle weiter zu spielen.
Nichts desto trotz – er war ein Schauspieler der hohen Klasse. Alles andere interessierte uns nicht. Und diese Besetzung mit all den anderen hochrangigen Schauspielern – das konnte fast einen Erfolg verbürgen – fast und einen Erfolg den wollten wir natürlich – klar –
Und bei einem Freilichtfestspiel gehört immer ein Blick zum Himmel dazu. Nicht um den Segen des Himmels zu erflehen, Engel zum Gelingen beizurufen – nein – um zu sehen, ob Regen oder ein Unwetter den Auftritt der Schauspieler verbot. Auch ein Blick zum Thermometer brauchte es. Zu kühl und zu feucht – das ist die Schocksituation der Festivaler.
Die Uraufführung nahte heran und das Wetter drohte mit Schlimmen. Radiowettermeldungen versprachen Furchtbares in der Würzburger Region – Sturm, Donner, Regen und Blitz waren angesagt. Niemand konnte voraussagen, wie es sich anlassen würde. Konnten wir unter diesen Umständen überhaupt noch mit Besuchern zur Uraufführungen rechnen. Sie kannten ja auch diese schrecklichen Wettertartaren-Meldungen.
Es geschah ein Wunder. Anders kann man es nicht nennen. Unwetter – ja, die gab es und schlimme – rund um Würzburg. Nur Würzburg blieb davon ausgenommen. Es gab ein großes Wetterloch zum Guten über Würzburg. Und auch heute noch bin ich Petrus dafür etwas schuldig. Es blieb trocken und Blitz und Donner verschont. Und die Besucher kamen. Natürlich waren zahlreiche Ehrenkarten verteilt worden – so etwas ist üblich. Aber sie kamen so angezogen, wie man es bei einem Freilichtspiel wohl nicht erwartet hätte. Sie kamen, die hohen Damen und Herren in langen Kleidern, in Abendroben und Smoking. Das würden sich die nächsten Besucher mit Sicherheit abgewöhnen.
Es war ein rauschender Schluss – nicht enden wollender Beifall, eine süffige, wohlige Premierenfeier. Dazu eine Anfrage des bayrischen Rundfunks nach einer Aufzeichnung des Spieles. Das verschob unser Regisseur, Joachim Hess, auf die nächsten Sommerfestspiele, denn diese waren bereits vereinbart. Diese Verschiebung war ein großer Fehler. Eine neue Anfrage gab es nicht. Damit war das zu Ende – und es hätte ein ungeheurer Werbefaktor werden können –
Wir haben das Stück in zwei Sommerspielzeiten 54 mal gespielt. Die Vorstellungen waren meist ausverkauft, oft mussten noch Stühle von der naheliegenden Gastwirtschaft reingestellt werde. Trotz allem – in der ersten Spielzeit schrieben die Geldgeber noch rote Zahlen – nicht tief, aber immerhin. In der zweiten Spielzeit ging es nach oben. Endlich schwarze Zahlen!
Aber wir hatten Anstoß erregt im tiefkatholischen Würzburg. Der Papstsong und einiges mehr – dabei war das ja gar nicht gegen die katholische Kirche von heute gerichtet, es war Zeitgeschichte, Bauernkrieg, 1525. Wir durften in der zweiten Spielzeit nicht mehr oben auf der Feste spielen – wir wurden nach unten verbannt. Das war zwar schade, aber es störte nur wenig. Die Besucher schreckte das nicht ab.
Ja – es müssen wohl vor allem einige der Songs gewesen sein, die Ärger brachten – so zum Beispiel das Lied des Gauklers Bermeter in einer Kneipe. Da sag er und ließ sich vom Volk musikalisch begleiten:
Als Adam grub und Eva spann,
wo war denn da der Edelmann?
Der Papst, der geht in goldnen Schuh’n –
Er will im Bett aus Silber ruh’n.
Es stört ihn nur Herr Jesu Christ,
der nie bei ihm gewesen ist –
und so weiter - -
Zeichungen aus dem Programmheft
Informationen über die Riemenschneider-Inszenierung 1982 finden sie hier.